Data & Digital

Das Wichtigste ist die sogenannte Data Literacy, also die Datenkompetenz

13.03.2023
Im interview mit Christian Heuer

Die Digital Real Estate Umfrage 2023 zeigt, dass der Reifegrad der Bau- und Immobilienbranche nicht nur von technischen Möglichkeiten und neuen Innovationen abhängt, sondern auch wie wir mit Daten umgehen und diese einsetzen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass dort die grösste Herausforderung liegt, welche es während der digitalen Transformation zu bewältigen gibt. Wie wird das machen und welche Steine uns dabei noch im Weg liegen, erfahren wir von unserem Experten Christian Heuer, Head of Service Unit Data & Analytics.

Wie schätzt Du den derzeitigen Umsetzungsstand von Data Analytics in der Bau- und Immobilienbranche ein?
Meine Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der Studie: Data Analytics steckt – bezogen auf den Gartner Hype Cycle – im Tal der Tränen fest. Aktuell beschränkt sich die Anwendung noch oft auf Dashboards, um etwas sichtbar zu machen. Weiter geht man meistens nicht. Die Datenmaturität in unserer Branche ist relativ gering. 

Welche Gründe siehst Du für die geringe Maturität?
Die Branche bewegt sich in einem sehr heterogenen Umfeld mit vielen unterschiedlichen Beteiligten. Daten müssen über Organisationen hinweg integriert werden, um die Digitalisierung auf ein neues Level zu heben. In anderen Branchen, wie beispielsweise in der Versicherungsbranche, ist das Know-how und der Umgang mit Daten bereits viel tiefer ins Business eingedrungen. Dort erfassen und analysieren Business-Spezialist:innen ihre relevanten Daten und nicht Spezialist:innen aus der IT. Viele in unserer Branche sind eher hands-on unterwegs, haben ganz andere Themen auf dem Tisch und sind nicht die typischen Bildschirmarbeiter:innen. Daher ist auch ein anderer Bezug zum Digitalen vorhanden.

Was muss die Bau- und Immobilienwirtschaft tun?
Da muss differenziert werden. Grosse Unternehmen sind in der Digitalisierung in der Regel deutlich weiter als kleine Unternehmen. Viele Immobilienorganisationen sind aber relativ klein. Es ist die Aufgabe von Beratungsfirmen und Technologieanbieter:innen, diese Unternehmen an digitale Technologien heranzuführen. Wir müssen ihnen aufzeigen, wie mit verfügbaren Lösungen klar definierte Verbesserungen erzielt werden können. So können mit vergleichsweise geringen Mitteln gut sichtbare Mehrwerte erzielt und der Appetit auf mehr geschaffen werden.

Also eigentlich ganz einfach, oder täuscht das?
Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Die grosse Herausforderung der Branche ist die geringe Datenmaturität in Verbindung mit einer niedrigen Data Literacy, also dem Bewusstsein für Daten als Asset. Gleichzeitig sind die Anforderungen an Datenarchitekturen im äusserst heterogenen Umfeld der Immobilien- und Bauwirtschaft sehr komplex. Eine klare und transparente Kommunikation in Verbindung mit einer strukturierten Data Governance hilft, hier ein besseres Verständnis für Daten zu schaffen.

Welche weiteren Ansatzpunkte siehst Du, um Data Analytics in der Branche besser zu verankern?
Aus meiner Sicht ist grosses Potenzial vorhanden, wenn Daten stärker zusammengeführt werden. Hier sind beispielsweise Common Data Environments (CDE) ein Ansatz. Die komplette Datenintegration end-to-end schafft neue Möglichkeiten für den Einsatz von Data Analytics und hilft, die Akzeptanz voranzutreiben. Zudem müssen die Mehrwerte aufgezeigt werden, wenn man die vorhandene Datenbasis beispielsweise mit Open Data anreichert. Auf diese Weise kann man frei verfügbare, offene Daten nutzen, um eine grössere Bandbreite von Anwendungsfällen abdecken zu können.

Das heisst aber auch, dass diese Anwendungsfälle vorhanden sein müssen.
Diese sind bereits in grosser Zahl vorhanden. Als Hindernis sehe ich eher das Vorhandensein der für den Anwendungsfall notwendigen Daten. Daran scheitert vieles. Die Plausibilität und die Durchgängigkeit der Daten über alle Liegenschaften hinweg sind häufig nicht gegeben.

Gibt es neben Datenqualität und Datenumfang weitere technische Aspekte, die für den Einsatz von Data Analytics relevant sind?
Standardisierung ist ein sehr wichtiges Thema, gerade wenn man viele Stakeholder hat, mit denen Daten ausgetauscht werden müssen. Dabei ist es für die korrekte Integration sehr wichtig zu wissen, welche Daten tatsächlich vorhanden und wie diese zu lesen sind. Ohne die entsprechenden Metadaten und vereinbarten Datenkataloge ist eine Datenintegration nur sehr aufwändig zu erreichen. Eine Herausforderung ist auch hier wieder die Heterogenität der Branche. Es gibt verschiedene Nischenstandards, die für bestimmte Anwendungsbereiche und in den zugehörigen Fachsystemen zum Einsatz kommen. Die Schwierigkeit ist, die Daten aus diesen fokussierten Systemen in eine universelle Sicht überzuführen. Diesbezüglich steht die Branche noch am Anfang, hat aber Initiativen wie beispielsweise die International Building Performance & Data Initiative IBPDI gestartet.

Welche organisatorischen Aspekte sind für den Auf- oder Ausbau von Data Analytics zu beachten?
Organisatorische Aspekte sollten in der sogenannten Data Governance geregelt werden, die Teil der Datenstrategie eines Unternehmens sein muss. Die Data Governance ist der Schlüssel für alles, was mit Daten in einem Unternehmen passiert. Sie schafft nicht nur Sensibilisierung im Unternehmen, sondern setzt diese auch in der Organisation um und befähigt so, mit Daten richtig zu arbeiten. In der Bau- und Immobilienbranche werden Daten und Data Analytics noch sehr stark als IT-Themen gesehen und in der Regel sind sie organisatorisch auch bei der IT verankert. Daten sind aber eine grundlegende Thematik des Kerngeschäfts. Data Governance ist wichtig, um die Verschiebung weg von der IT und näher hin zum Business erreichen zu können.

Die Themen Daten und Data Analytics betreffen viele organisatorische,technische und rechtliche Aspekte und sind mit entsprechendem Aufwand verbunden. Wie können kleinere Unternehmen mit beschränkten Ressourcen diese Themen angehen?
Das Wichtigste ist, dass die sogenannte Data Literacy, also die Datenkompetenz gefördert wird. Die Mitarbeitenden sollten ein Gespür für Daten und den Umgang mit ihnen haben. Es muss stärker bewusst werden, dass Daten ein wichtiges Asset sind. Aus Daten können also ganz neue Ideen und Impulse entstehen. Nur Firmen, die aktiv mit ihren Daten arbeiten, können das entsprechende Potenzial nutzen. Zudem benötigen auch kleine Firmen für den erfolgreichen Aufbau von Data Analytics eine Art von Datenstrategie, in welcher Form auch immer diese erstellt wird. Wichtig ist, dass die Anforderungen für das eigene Geschäft formuliert werden und daraus abgeleitet wird, wie die Datenlandschaft ausgestaltet sein muss und was man umsetzen will.

Gibst Du uns zu guter Letzt noch einen Ausblick, welche Entwicklungen und Trends sich für die Zukunft abzeichnen?
Viele Themen, die in der Zukunft relevant sein dürften, sind eigentlich nicht wirklich neu. Entsprechende Ideen und teilweise auch technische Lösungen sind bereits vorhanden. Bisher war die breite Umsetzung aufgrund technischer Einschränkungen aber oft nicht möglich. So wird – verbunden mit einer gewissen Datenmaturität – natürlich das Thema Artificial Intelligence (AI) interessant. Je besser und verbreiteter AI-Anwendungen werden, desto wichtiger wird die sogenannte AI Explainability, also die Möglichkeit, dass man von AI getroffene Aussagen und Entscheide nachvollziehen kann. Daneben erhalten auch präskriptive Aspekte von AI immer grössere Aufmerksamkeit. Dabei geht es darum, dass man das Ergebnis der AI nicht nur erklären kann, sondern die AI auch sagt, warum man etwas machen soll. Ein Beispiel: Die AI sagt mir nicht nur, wann eine Anlage kaputt geht, sondern auch warum. Grosses Potenzial birgt auch das Natural Language Processing (NLP). Viele Daten sind in unserer Branche noch in Dokumenten oder in PDF-Dateien enthalten und dadurch nur schlecht oder gar nicht zugänglich. Die Erschliessung dieses Datenschatzes wird uns die nächsten Jahre weiter beschäftigen. Zudem werden die ganzen Web3-Technologien wie beispielsweise das Metaverse für die Bau- und Immobilienwirtschaft sicherlich noch interessant, wobei das Potenzial für die Branche aber noch abgewogen werden muss.


Über die Studie 

Die Digital Real Estate Umfrage erhebt seit 2016 jährlich den Stand der digitalen Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft in der Schweiz und seit 2019 auch für Deutschland. Das Whitepaper präsentiert die Ist-Situation in den beiden Ländern basierend auf den Einschätzungen von verschiedenen Führungs- und Fachkräften aus der Branche und wird durch das Expertenwissen von Beraterinnern und Berater der pom+Consulting AG ergänzt. 

Die Studie kann kostenlos heruntergeladen werden. 

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